Potentiell abgehört zu werden ist ein Verlust der Freiheit des Menschen. Es sollte daher auf eine Stufe gestellt werden mit anderen Freiheitsberaubungen wie Gefängnisstrafe oder Berufsverbot: es darf erst angewendet werden, wenn die Schuld desjenigen von einem anständigen Gericht in einer offenen und fairen Verhandlung zweifelsfrei festgestellt wurde.
Abhörmaßnahmen dienen aber gerade dazu, die Schuld festzustellen! D.h. sie werden auch bei unschuldigen Bürgern angewendet! Man beraubt also Bürger ihrer Freiheit, weil sie schuldig sein könnten. Das ist eine Umkehrung der fundamentalen Grundlage eines Rechtsstaates, daß nämlich ein Angeklagter solange als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld nachgewiesen wurde.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Es wäre genau so absurd, z.B. gegen Verbrechen vorzugehen, indem man alle Bürger vorbeugend ein paar Jahre ins Gefängnis steckt, damit sie mal sehen, was ihnen droht.
Fakt ist: man konnte Kriminelle bisher auch fangen, ohne die Freiheit aller Bürger einzuschränken.
Nein. Das Abhören dient ja gerade dazu, Beweise für die Schuld zu finden. D.h. man wird es zwangsläufig bei Verdächtigen anwenden müssen, bei denen noch kein Beweis vorliegt, sonst bräuchte man ja keine zusätzlichen Beweise mehr.
Abhörmaßnahmen machen auch nur Sinn, wenn der Abgehörte nicht bemerken kann, daß er abgehört wird. Mißbrauch wird also nicht oder nur sehr schwer überhaupt nachweisbar sein! Was ist, wenn ein eifersüchtiger Polizist alle Bekanntschaften seiner Frau abhört? Oder wenn ein korrupter Polizist sich für Industriespionage benutzen läßt? Oder wenn bei einer Abhörmaßnahme versehentlich Material aufgenommen wird, das sich hervorragend für eine Erpressung eignen würde? Wer kann garantieren, daß kein unterbezahlter Polizist schwach wird?
Gut, nehmen wir an, daß die Polizei vollständig integer ist, obwohl es genügend Belege für das Gegenteil gibt. Wer sagt denn, daß die Abhörschnittstellen nicht gehackt werden können?
Es handelt sich hier um dokumentierte, ja sogar standardisierte Schnittstellen, die absichtlich so ausgelegt sind, daß die Telefongesellschaft bzw. der Internetprovider nicht sehen kann, ob sie gerade benutzt werden. Das ist doch geradezu eine Einladung für ausländische Geheimdienste, Industriespionage oder böse Hacker! Sie können beliebig lange an den Schnittstellen herumspielen, und niemand wird es merken, denn der Provider darf nicht gucken und die Polizei nutzt die Schnittstellen nur in Ausnahmefällen.
Letztlich bleibt es natürlich jedem Einzelnen unbenommen, freiwillig auf seine Rechte und Freiheiten zu verzichten. Es soll ja sogar schon Leute gegeben haben, die sich über Monate in einen Container haben einsperren lassen, und dabei permanent abgehört und gefilmt wurden. Aber daraus folgt natürlich nicht, daß die aufgegebene Freiheit generell verzichtbar ist!
Jeder halbwegs erfolgreiche Kriminelle wird sich natürlich verschlüsselndes Kommunikationsgerät anschaffen und ist damit gegen Abhören unempfindlich. Die Abhörmaßnahmen greifen also nur gegen die dummen Pleitiers unter den Kleinkriminellen.